Romane

ISBN 3-608-95421-X

Ein Wahnwitz von Liebe

Klett Cotta, Stuttgart 1988

Man muß viele Lieben töten, um zur Liebe zu gelangen. Ganz am Anfang: zwei Männer und eine Frau, und ganz am Schluß: eine Frau und zwei Männer - die ewige Konstellation der ungenügenden Liebe. Zwischen diesen beiden Extrempunkten ereignet sich der Roman. Fünf Stimmen erzählen, und in fünf Stimmen spielt sich Leben ab - Musik gegen die Schrecken der Welt. Fünf Menschen sind zusammengebunden: auf Gedeih und Verderb. Jeder verfolgt sein eigenes Ziel. Tillmann verfolgt Martha mit dem, was er Liebe nennt; Martha hat nur einen Ehrgeiz - mehr sein als die anderen; Berthold teuflische Einfälle zielen auf seine Geschwister; Ulrich folgt seinen Träumen, weil ihm die Realität zu eckig ist; Ilse, das gemästete Liebesopfer, empört sich; sie zielt in die Freiheit.

Die Stimmen erzählen vom Föhn, der wie Sekt ist, von Yvonne de Creusac, der willfährigsten Frau aller Frauen, von einem tätowierten Auge, von einer blutigen Erstkommunion, von der brennenden Bienenkönigin, die dem Liebesakt entsteigt. Sie erzählen von den Freuden des einsamen Kindes, von den Leiden des Pornographen, vom Elend der Laternenfische. Sie erzählen von Hungerzeit und Hamstergang, von den Lippen des Siegers, dem Fleisch der Besiegten. „Erzähl mir!“ sagt Ilse und es ist die Bitte gegen die Zeit, gegen den Tod. Der rote Faden der Geschichte führt mitten ins Labyrinth - in ein Märchen hinein, dessen Zentrum leer ist, stumm: König Manila muss sich selbst erfinden, um zu einem Ende zu gelangen. Ilse sich muss sich selbst erzählen, um zu einem Anfang zu finden. Dieser Anfang könnte die Liebe sein. Man muss viele Lieben töten, um ... nicht selbst getötet zu werden? Es ist ein atemlos und leidenschaftlich erzähltes Buch über den Hunger nach Zuneigung, nach Nahrung, nach Wärme, nach Vertrauen: ein Buch auch über die Familie und ihre Deformierung. In seinem Kern jedoch ist es ein Buch über das Sprechen, über das Erzählen, über Verlust und Neugewinn von Sprache.

Kritiken

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„Was Ortmann macht, sind Kompositionen von Worten, die in ihrer Verbindung ein so rhythmisches, harmonisches Klanggebilde ergeben, daß es dem Zuhörer wie Musik in den Ohren klingt.
Ortmanns Sprachgefühl und die ‚Ästhetik’ seines Stils sind unumstritten, und auch die Liebe, die Perfektion, mit der jeder Satz zusammengestellt und jedes Wort gesetzt ist, wurde dem Publikum deutlich...“
Sebastian Morgner in: Badische Zeitung, 8. 10. 1988

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„’Was ist das bloß für eine Sprache, die wir sprechen müssen? Offenen Auges und verschlossenen Blicks in die Nacht hinein. Ein Mund, der nicht mehr heimfindet. Ein Wind, der im Sand dein Lächeln begräbt. Eine Wimper, die sich südlich gegen den Mond erhebt, während das Auge im norden vereist. Und entzweigerissen zwischen Himmel und Baum, zwischen Maulwurf und Mond. Was ist das bloß für eine Sprache, die zur Nacht immer bloß Nacht sagt, unfähig, die Wunde zurück ins Messer zu schicken, die Gitterstäbe als Bäume in die Wildnis zurück?’
Noch bevor man genau begreift, stellt sich Faszination ein. Klang, Farbe, Beziehungsreichtum und Rhythmus der Worte verraten die poetische Begabung des Autors. Wer so mit Sprache umzugehen versteht, dem gelingt auch die Sprachkritik zum Gleichnis eines unzerstörten Identität und Heilung stiftenden Sprechens.-
Der Autor - neben Tillmann und Martha, den Eltern - muss die Kinder selbst zu Wort kommen lassen, damit offensichtlich wird, welche Kosten und Konsequenzen eine Liebe zeitigt, die nur ein ‚Wahnwitz’ ist - Neurosen, Verklemmungen, Autismus und Entropie. Bertolds pubertäre Gewaltfantasien, in denen Liebe nur als Zerstörung und Folter vorstellbar ist... Die Fettsucht und das fortschreitende Verstummen der ältesten Tochter Ilse. Oder schließlich die offenkundige Lebensuntüchtigkeit Ulrichs, des verstockten Bettnässers, der nichts lernt, dem nichts gelingt, der unerreichbar ist: ‚Blindgänger’ und ‚Leisewandler’ nennen sie ihn. ‚Meine Wörter verließen mich. Daheim brach wir die Zunge weg. Heimkommen mittags war jetzt immer der Tod’.
Allerdings ist es gerade die Figur dieses Ulrich, mit der Ortmann beinahe so etwas wie eine Psychologie der poetischen Rede entwirft. Mit er den Leser nachempfinden lässt, wie aus drohender Sprachlosigkeit als Folge rigider Erziehung das Bedürfnis nach einer ganz eigenen reichen Sprache entstehen kann: ‚Hinter jedem Mund, dachte ich, verbirgt sich ein weiterer Mund, der Wörter aus der Fremde sich wünscht.’
Der Bettnässer wird zum Träumer und Märchenerzähler, die Poesie zur Rettung. Die Wunde kehrt, zumindest in der magischen Welt der Wörter, ‚ins Messer zurück’“ Dr. Georg Wieghaus in: NDR III, 1989

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„Es ist ein atemlos und leidenschaftlich erzähltes Buch über den Hunger nach Zuneigung, nach Nahrung, nach Wärme, nach Vertrauen: das Buch auch über die Familie und ihre Deformierung. In seinem Kern jedoch ist es ein Buch über das Sprechen, über das Erzählen, über Verlust und Neugewinn von Sprache. Es gibt heute keinen zweiten Schriftsteller, der mit derart radikaler Konsequenz das Geschichtenerzählen zum Gegenstand seiner Geschichten macht“
Aus der Einladung zur Lesung der Buchhandlung Lehmkuhl, 22. 3. 1988

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„Diese Familiengeschichte zeigt trotz des atmosphärischen Zeitkolorits vor allem den Mikrokosmos von fünf Eingeschlossenen. Sie alle sind Gefangene, Figuren im festgefahrenen familiären Gefüge, aus dem kein Entkommen möglich ist. Was bleibt, ist der Rückzug in die Träume, die Verweigerung und der Ausbruch ins Reich der Phantasie.
Ortmann bildet diese Fluchtbewegungen nach, ohne sie zu erklären. Dabei zerstört er teilweise den gewohnten Sprachfluß, durchsetzt ihn mit alogischen Einschüben, mit Wiederholungen und phantastischen Elementen, doch fügen sich diese Bruchstücke immer wieder zu einem pointierten, erschreckend klarsichtigen Ganzen“
RIAS Berlin Pressedienst, 26. 06. 1988

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
... Ortmann gibt jeder Stimme eine eigene Art zu erzählen, doch bleibt ihnen allen die Sprache ^des Autors eigen. Diese Sprache ist von großer Dichte und Eindringlichkeit, mit Bildern von seltener Kraft. Sie lässt in ihren besten Momenten Absurdes als selbstverständlich erleben
Moosburger Zeitung 1989 zur Lesung in Barbaras Bücherstube

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„Eine Familie - Mutter, Vater, eine Tochter und zwei Söhne - gesehen und beschrieben als ein einziger Kriegsschauplatz, ein Kampf aller gegen alle, das ist das Thema, das sich Edwin Ortmann nach zwei Erzählungsbänden für seinen ersten Roman gewählt hat. Den zeitgeschichtlichen Hintergrund liefern die ersten Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1948, als die Menschen in Deutschland, ein- gezwängt zwischen Trümmern, einen neuen Platz in der Gesellschaft suchen mussten, die vielfach die alte geblieben war, und der Kampf ums Essen und (nie) Sattwerden den Alltag prägte.
Allerdings liefert die Gesellschaft im besetzten, vierfach geteilten Deutschland (im Roman ist es die US-Zone) und das Elend nur die zeitgeschichtliche Folie; denn das Thema ist der ,Wahnwitz von Liebe’ oder das, was sich die handelnden Personen darunter vorstellen.
Ortmann hat den Ehrgeiz, dieses Beziehungsgeflecht von allen Beteiligten aus einer jeweils anderen Perspektive heraus darzustellen, es also auf fünf Ebenen anzusiedeln, und wenn ich die Intentionen dieses verwickelten Buches richtig begriffen habe, so soll hier die Sprache etwa das leisten, was Instrumente in einem Quintett auszudrücken vermögen. Doch die Realisierung dieses Vorhabens scheint mir missraten.
Daß es mir bei der quälenden Lektüre nicht ein einziges Mal gelungen ist, mich mit den dargestellten und sich darstellenden Personen zu identifizieren, mag vielleicht nicht so besonders wichtig sein, obwohl nicht gänzlich belanglos. Schwerer wiegt, daß Ortmann sein bemühtes Vorhaben, sein Quintett allein mit den Mitteln der Sprache zu charakterisieren, missglückt ist“
Eckart Klessmann in FAZ, 31. 5. 1988

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„...da sind fünf Stimmen - fünf Kapitel, fünf Monologe einer fünfköpfigen Familie. Fünfmal wird dem Leser die Familie Rabenalt präsentiert. ‚Und jeder erzählte die gleiche Geschichte. Die aber nie dieselbe war. Immer eine andere. Und jeder lügt, dachte ich, und daß alle Lügen zusammen vielleicht die Wahrheit ergeben? Oh, was für ein Quatsch, dachte ich, was für ein horrender Unsinn!’ Ortmann gibt jedem der fünf Erzähler eine eigene Sprache, erfindet dem hellen Wahnsinn zu fünft Szenerien von poetischer Bilderkraft, in der die Realität verfremdet und in eigenwillige Metaphorik übertragen wird. (Die mir nicht immer ganz eingeleuchtet hat.) Die Bezüge zum Zeitgeschehen im Dritten Reich und den ersten Nachkriegsjahren finden mitunter in einem einzigen Satz ihre treffende Formulierung. So etwa, wenn von der Hamsterzeit die Rede ist, ‚wo große Wohnungen in kleine Rucksäcke gingen.’ Oder vom Neuanfang: ‚Viele neue Trittbretter ... für alte Füße.’ Außen und innen verändert sich kaum etwas... ‚Und beide Eltern schlugen auf uns ein, wie in Lehmklumpen, so schlugen sie ihren Kummer, ihre Ordnungswünsche in unsere Körper hinein. Auch wir selber waren der Eltern Besitz, und wenn wir flohen, dann doch nur im Kreis, und am Ende liefen wir wieder in die vertraute Falle ihrer Arme hinein.’ In dieser Bewegungslosigkeit halten sie einander fest, wie ein ‚vom Unglück zusammengebackener Teig’“ Gisela Ulrich in: Stuttgarter Nachrichten, 25. 1. 1989

Ein Wahnwitz von Liebe - Roman in fünf Stimmen (Klett Cotta, 1988)
„Edwin Ortmann beherrscht die fünf Stimmlagen souverän, passt seine Prosa den unterschiedlichsten Anforderungen an: realistische Schilderungen des Alltagslebens während des Dritten Reiches gelingen ihm ebenso wie die Schilderungen des diffizilen Innenlebens der Figuren... Es geht in diesem Buch u. a. um Untergang, Verhängnis und Tod; um Musik, die Worte und das Erzählen selbst als einer Bitte gegen die Zeit... So entsteht ein hochkomplexes Gebilde, in dem sich Zeitgeschichte und Zeitanalyse, das Psychogramm einer Familie und eine philosophische Standortbestimmung des modernen Menschen gegenseitig bedingen und erhellen... ‚Ein Wahnwitz von Liebe’ ist ein schwieriges Buch. Gleichwohl ein Buch, zu dem man immer wieder zurückkehrt, mit dem man so schnell nicht fertig wird. Eine der wichtigsten Neuerscheinungen dieses Frühjahrs“ (Helmut Petzold im BR, Kultur aktuell)

ISBN 3-608-95848-7

Nie wieder Mozart!

Klett Cotta, Stuttgart 1992

Wer hat mit wem einen Roman?
Mozart zeugt Jack the Ripper. Jack the Ripper ist vernarrt in die Königin der Nacht. Die Königin der Nacht verführt Goethe zu seiner Zauberflöte. Die Zauberflöte bringt Mozart seine letzte große Liebe.
Mozart als postumer Mörder?
Ich bin unschuldig sagt Mozart.
Ein Genie ist niemals unschuldig, behauptet der achtfache Eunuch Plankenstern.
Und wie oft muß ein Genie sterben?
Acht plus zwei Mal mindestens. In diesem Roman.
Aber jetzt ist Schluß mit Mozart und seinem ganzen Kometenschweifgeschmeiß.

Kritiken

Nie wieder Mozart! - Ein Spielroman (Klett Cotta, 1992)
„Was ist wahr, was ist erfunden? Die Antwort ist nicht wichtig, denn manchmal ist die Erfindung wahrer als die Wahrheit. In seinem Roman Nie wieder Mozart! lässt der Münchner Autor Edwin Ortmann geschichtliche Tatsächlichkeit weit hinter sich und jongliert stattdessen souverän mit Fakten und Fiktionen über Mozarts Leben. Wer so kenntnisreich ins Blaue spekuliert, trifft wohl meist ins Schwarze. Nachzuprüfen heute bei einer Ortmann-Lesung in der Autoren-Galerie. Man nehme zwei Würfel, eine Tabelle und die Notenschrift des Contredanse Anglaise. Und schon kann sich jeder Teilnehmer unter Tausenden von Möglichkeiten sein eigenes Musikstück erwürfeln. Zwei Männer, Paulut und Plankenstern, spielen Mozarts Würfelspiel in einem Wiener Café und erfinden je nach Augenzahl ihr eigenes Mozart-Stück. ‚Es wird, es muss, denkt Plankenstern, jetzt geh ich, in meinem Kopf zumindest, rückwärts hinaus und komm als Mozart wieder herein.’ So erzählen sich Paulut und Plankenstern, wie Mozart seinen Tod aus der Zeitung erfährt und an seiner unglücklichen Liebe zur oberflächlichen Constanze zerbricht. Sie rätseln über Mozarts Tod (Wassersucht, Lustseuche, Frieselfieber, Auszehrung?) und fabulieren sich mit wachsender Begeisterung vom Hundertsten ins Tausendste. Zwischenlanden bei Goethe und Haydn - und bei einer ganz neuen Theorie über die Mordmotive Jack the Rippers. Wussten Sie, daß der seinen Königinnen der Nacht Mozart-Arien aus dem Leib schnitt, weil sie sich weigerten zu singen...? Was ist wahr, was erfunden? Nichts ist wahr oder alles. Ortmann misstraut zu zu Recht den Tatsachen und splittert deshalb Mozarts Geschichte in Geschichten auf. Er verwandelt Musik in Sprache und lässt die Sprache singen: ‚Plötzlich, erzählt Mozart, war die Musik weg. Das Klavier - wie davongeflogen. Und wir? Hände schmecken Liebe... Es war ein heißer Wintertag.’ So weit zu Mozarts Geliebten Magdalena Hofdemel. Phantasie ist Trumpf und der (Würfel-) Zufall wird zum Schicksal. Nie wieder Mozart! Ist eine vergnügliche, verwirrende Parforcetour nicht nur für Mozart-Fans, ein kunstvoll verschachteltes Spiel im Spiel, das nie beliebig wird“ Christa von Bernuth in AZ, 5. 6. 1992

„...nicht nur der Ton schmacht die Musik. Diese Würfel sind an der ‚wohl-listigen’ Fronfront der Lüste gephallen. In Flagranti mit Ortmann calando mancando gauli-mauli hinauf zu Mozart!“
Marianne Sägebrecht